Braunschweig. Im Vergewaltigungsprozess gegen den auch im Fall Maddie Verdächtigen ist am Freitag Manfred S. befragt worden. Er berichtete von zwei Videos.
Am dritten Prozesstag gegen Christian B. sind schon nicht mehr alle Presse- und Zuhörerplätze im Schwurgerichtssaal des Braunschweiger Landgerichts besetzt. Während der Angeklagte weiterhin schweigt und seine Anwesenheit neben seinen konfliktfreudig auftretenden Verteidigern fast in Vergessenheit geraten könnte, wirkt die Stimmung unter den Prozessbeteiligten hingegen angespannt. Schon der erste Zeuge gehört zu den wichtigsten: Manfred S. soll auf einem Videofilm zwei Vergewaltigungsszenen gesehen haben, auf denen er Christian B. als Täter erkannt haben will.
Drei Vergewaltigungen und zwei Fälle des sexuellen Missbrauchs zwischen 2000 und 2017 in Portugal wirft die Staatsanwaltschaft dem wegen Sexualstraftaten bereits vorbestraften Christian B. in ihrer Anklage vor. Darüber hinaus wird der heute 48-Jährige verdächtigt, im Mai 2007 die dreijährige Maddie McCann aus einem Hotelzimmer im portugiesischen Praia da Luz entführt und ermordet zu haben. Die Ermittlungen in diesem Fall dauern an.
Prozess um Christian B.: Videofilm spielt in Vergewaltigungsprozess zentrale Rolle
Der mutmaßliche Videofilm spielt im aktuellen Prozess eine zentrale Rolle: Auf ihn stützt die Staatsanwaltschaft zwei der Vergewaltigungsvorwürfe. Da die Ermittler weder das Video noch die Opfer ausmachen konnten, spielen Zeugen wie Manfred S. eine umso entscheidendere Rolle. Die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen zu erschüttern, muss folglich das Ziel einer Verteidigung sein, die erklärtermaßen auf einen Freispruch für Christian B. setzt.
Manfred S., der nach seinen Worten eigentlich nichts mit der Sache zu tun haben wollte, hat inzwischen schon oft ausgesagt. Vor dem Bundeskriminalamt, das ihn in Griechenland ausfindig machte, vor dem Braunschweiger Landgericht, als es um die Vergewaltigung einer 72-Jährigen im Jahr 2005 in Praia da Luz ging, für die Christian B. zu einer siebenjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Und nicht zuletzt hat der heute 68-Jährige immer wieder für ein paar hundert Euro Presse-Interviews gegeben, in denen er Christian B. unter anderem als Psychopathen bezeichnet haben soll.
Wie er am Freitag nun vor der Jugendstrafkammer des Landgerichts schilderte, hatte er Christian B. in Portugal kennengelernt, als ihm und einem Bekannten auf der Fahrt im Wohnmobil der Diesel ausgegangen sei. Der Bekannte sei losgegangen und mit Christian B. zurückgekommen. Danach hätten sie gemeinsam einige Tage auf dem Grundstück des Angeklagten verbracht. „Wir hatten eh kein Ziel. Unser Ziel war Portugal.“
Zeuge fand Christian B. „großkotzig und arrogant“
Von Christian B. will er in Gesprächen erfahren haben, dass er in Hotelanlagen nicht nur als Kellner arbeitete, sondern auch einbrechen ging. Er habe sich damit aber nicht weiter beschäftigt, sei nach ein paar Tagen wieder aufgebrochen. Christian B. sei ihm unsympathisch gewesen, zu großkotzig. „Sein Gehabe war arrogant.“ „Oberkellner“ habe er ihn genannt.
Doch im kleinkriminellen Milieu deutscher Auswanderer kannte man sich. Irgendwann, so Manfred S., habe er von seinem alten Bekannten Helge B. gehört, dass Christian B. wegen Dieselklaus in Haft sei. Gemeinsam seien sie zu dessen Haus gefahren. Alles sei dort durcheinander gewirbelt gewesen. „Da hatte schon irgendwer rumgewühlt.“
Zeuge: Videofilm aus Haus des Angeklagten gestohlen
Auch die beiden wollten etwas mitgehen lassen. Manfred S. entdeckte einen Kanister Diesel. Auch eine Pistole, die er später in einem See versenkt haben will, habe er mitgenommen. Helge B. habe kleinere Elektrogeräte eingesteckt – und jene Kamera mitsamt Videokassette, die nun die Justiz beschäftigt.
Noch am selben Abend sei Helge B. zu ihm gekommen und habe ihm die Videokassette gezeigt. Das ist vorprogrammierter Ärger, habe er gedacht. „Das ist nicht meine Welt, das interessiert mich nicht.“ Trotzdem habe er sich die Film-Sequenzen angeschaut – zumindest für einige Minuten.
Opfer soll auf Italienisch „Hilfe“ gerufen haben
Auf einem Video sei eine ältere Frau auf einem Tisch zu sehen gewesen. Jemand habe ihr mit einem biegsamen Gegenstand, vielleicht einem Lineal, auf die nackten Brüste geschnippt. An der Stimme habe er Christian B. als Täter erkannt. Seiner Meinung nach habe die Frau auf Italienisch „Hilfe“ gerufen.
In einem zweiten Video soll eine Jugendliche in zerrissener Kleidung zu sehen gewesen sein, die an einen Balken im Haus von Christian B. gefesselt gewesen sein soll. Beide hätten Deutsch gesprochen. Das Mädchen habe gesagt, das sei eine Vergewaltigung. Christian B. habe das bestritten. Er sei um sie herumgetänzelt. Von Oralverkehr sei die Rede gewesen. Einen Kommentar im Video habe er sich gemerkt: Christian B. habe sich beschwert, dass sie seinen „ganzen Teppich vollkotze“.
Manfred S. erklärt vor Gericht, er habe nicht ständig hingesehen. „Mir hat das Ganze nicht behagt.“ Helge B., so sein Eindruck, habe das Gesehene ziemlich mitgenommen. Er habe das Video deshalb auch noch einer Bekannten in einem Stammlokal gezeigt. „Den Namen der Frau weiß ich nicht mehr, es ist zu lange her.“
Später habe Helge B. ihm erzählt, er habe seinen Camper verkauft. Die Kamera mit den Aufnahmen soll darin liegen geblieben sein.
Über die spätere Zeugenaussage von Helge B. kamen die Ermittler auf Manfred S., der inzwischen in Griechenland lebte. Er sei, berichtet er, von Beamten des Bundeskriminalamtes zu den Videoaufnahmen vernommen worden.
Helge B. steht im Prozess ebenfalls auf der Zeugenliste. Manfred S. hat bis heute zu ihm Kontakt. Am Donnerstag, also unmittelbar vor dem dritten Prozesstag, hätten sie zuletzt telefoniert, behauptet er. Tatsächlich aber telefonierte er auch noch am Freitagmorgen, direkt vor Beginn des Verhandlungstages, viermal mit dem Zeugen Helge B., wie die Kammer feststellte. Macht ihn das unglaubwürdig?
Auch andere Widersprüche zu früheren Aussagen tun sich auf: Erkannte er zum Beispiel auf einem Video während der mutmaßlichen Vergewaltigung der älteren Frau die Wohnung von Christian B.? Oder handelte es sich bei dem Tatort um eine andere Wohnung?
Hauptbelastungszeuge unter falschem Namen angeschrieben?
Rätselhaft blieb am dritten Prozesstag die von Oberstaatsanwältin Ute Lindemann aufgeworfene Frage nach dem Facebook-Account des Zeugen. Wie Manfred S. schilderte, waren ein Journalist und Verteidiger Friedrich Fülscher 2020 zu ihm nach Italien zum Gespräch gekommen. Auf ihre Bitte hin habe er Helge B. über Facebook kontaktiert. Der habe sich noch im Zeugenschutz befunden. „Keiner kannte seinen Aufenthaltsort.“
Anschließend aber habe jemand über seinen Facebook-Account und in seinem Namen zu Helge B. Kontakt aufgenommen. „Irgendwann hat Helge gerafft, dass ich das gar nicht war.“ Eine Erklärung hat Manfred S. dafür nicht. Auf Nachfrage des Verteidigers verneint er, dem Journalisten einige Tage nach dem Gespräch sein Facebook-Passwort mitgeteilt zu haben.
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dpa